Empowerment

Empowerment als Ziel der Arbeit mit und für Menschen, das klingt äußerst positiv und motiviert ungemein. Menschen, ob einzeln oder in Gemeinschaft, in ihrer Macht ihre Ziele zu erreichen zu stärken und/oder zur Überwindung bzw. Minderung sie behindernder Machteinflüsse zu wirken, erscheint höchst sinnstiftend. Sieht man sich die Literatur dazu an, ergibt sich ein differenziertes Bild.

Ist man von einem systemischen Verständnis und der Arbeit in der Gesundheitsförderung geprägt, fokussiert man bei seiner Arbeit für Menschen, Gemeinschaften und deren Vorhaben deren Potenziale und die Umwelten, die sie prägen und begrenzen; man ist überzeugt, dass lebende System sich nur aus sich selbst heraus verändern können. Empowerment als Konstrukt zur Selbstermächtigung erscheint daher genau als das Passende.
FachexpertInnen aus Disziplinen mit Blick auf das Bearbeiten von Defiziten, hier insbesondere im Feld der Sozialen Arbeit, sehen Empowerment teilweise kritisch, einmal weil sie befürchten, dass die Vorstellung, jeder Mensch sei zu Selbsthilfe im Stande und mit Durchsetzungskraft befähigt, zu deren Überforderung führen kann und zum anderen weil die Unbestimmtheit des Konzepts Empowerment die Tür zur Verkehrung der ursprünglichen Bestrebungen öffnen kann; zB: die (wirtschaftlich) Mächtigen schieben ihre Verantwortung über den Appell an die Eigenverantwortung der Machtlosen an diese ab, um nichts von ihrer (wirtschaftlichen) Macht abgegeben zu müssen (vgl. Glaser 2015, S. 31ff). Unter dem Mantel Empowerment sein Ego aufzublasen und in einer Filterblase nur mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, widerspricht ebenso der Intention.

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Macht?

Macht ist im Konstrukt Empowerment der zentrale Begriff. Geschichtlich war Empowerment ein Schlagwort der (afro) amerikanischen und feministischen BürgerInnenrechtsbewegungen der 1950er und 1960er („Power to the people!“) und wurde erst in den USA und seit den 1990er im deutschsprachigen Raum ein sozialwissenschaftliches Konzept (Pankofer 2016, S.291). Diese Herkunft spiegelt sich in Grundannahmen zu Empowerment, der nach den Menschen Zugänge zu den politischen Entscheidungsprozessen, die als Ursache ihrer Benachteiligung gelten können, finden sollen. (Helmut Lambers zitiert bei Pankofer 2016, S. 295). Diese ausschließliche Fokussierung auf die politische Macht verengt die Angriffsfläche zur Ermächtigung und diskreditiert Empowerment als einzig machtpolitisches Veränderungsbestreben.

Ein breiteres Verständnis von Macht sieht diese in der Kontrolle und Verfügung über bestimmte Ressourcen, Anthony Giddens nennt Geld, Wissen, Zeit, Organisationsfähigkeit und die staatliche Bereitstellung von Mitteln und Diensten (Glaser 2015, S. 37). Hier wird sichtbar, dass es bei Macht nicht nur um Begrenzungen durch die Umwelt geht, sondern auch um die Potenziale der Menschen bzw. der Gemeinschaften.

Hilfreich auch die Unterscheidung von Macht

  • in „power over“ (explizite oder implizite Dominanz),
  • in „power to“ (die Möglichkeit zu handeln)
  • in „power from“ (das Vermögen den Forderungen anderer zu widerstehen)

Bei den Empowerment-Bemühungen sollten diese Dimensionen bewusst bleiben (Riger 1993, S.282), der ausschließliche Blick auf die Möglichkeiten der Menschen bzw. Gemeinschaften übersieht die Eingrenzungen aus der Umwelt.

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Haltung!

Pankofer übersetzt Empowerment wörtlich mit „Selbstermächtigung“ (2016, S.292). Mit der Hinzufügung von „Selbst“ zu „Ermächtigung“ streicht sie einen bedeutenden Aspekt des Konstrukts Empowerment heraus. Die Veränderung ist nur durch die Menschen bzw. Gemeinschaften selbst möglich. „Die Schwierigkeit, einen Empowerment-Blickwinkel in die professionelle Arbeit zu integrieren, besteht vor allem darin, dass Empowerment-Prozesse zwar angestoßen werden können, der eigentliche Prozess jedoch weitgehend ohne Zutun der beruflichen Helferinnen und Helfer abläuft. Eine Haltung des Empowerment lässt sich daher nicht mit direkten Interventionen vergleichen, wie sie im psychosozialen Bereich eher üblich sind (Beratung, Betreuung, Therapie, Anleitung von Gruppen). Empowerment als professionelle Haltung bedeutet, Möglichkeiten für die Entwicklung von Kompetenzen bereitzustellen, Situationen gestaltbar zu machen und damit „offene Prozesse” anzustoßen.”(Wolfgang Stark zitiert auf Gesundheitliche-Chancengleichheit.de)

Die Empowerment-Haltung bedeutet daher Machtverlust für den Helfenden.

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Empowerment Prozess Modell

Ausgehend von der Definition von Macht als den eigenen Einfluss auf soziale Verhältnisse auf jeglicher Ebene menschlicher Interaktion, von der Zweierbeziehung bis hin zur Interaktion zwischen Person und System, definieren Cattaneo/Chapman „empowerment as an iterative process in which a person who lacks power sets a personally meaningful goal oriented toward increasing power, takes action toward that goal, and observes and reflects on the impact of this action, drawing on his or her evolving self-efficacy, knowledge, and competence related to the goal. Social context influences all six process components and the links among them.” (2010, S. 647)

Empowerment Prozess Modell von Cattaneo/Chapman, 2010

Durch das Modell werden folgende Aspekte von Empowerment herausgestrichen:

  1. Empowerment wird als iterativer Prozess beschrieben, ein wiederholendes Durchlaufen von Aktion und Reflexion. Dieser Prozess verbindet verschiedene Komponenten untereinander, so dass die Betrachtung eines Teils das Verstehen des Ganzen erfordert (Brodsky/Cattaneo, 2013, S. 336).
    Warum iterativ? Je länger die Teilnehmenden im Prozess involviert sind, umso größer wird ihr Verstehen. Je mehr sie verstehen, umso mehr sind sie motiviert weiter zu handeln. Je mehr sie weiter handeln, umso größer wird ihre Fähigkeit proaktiv zu agieren. Je proaktiver sie agieren, umso mehr werden ihre Fertigkeiten und ihr Wirken gefördert. Je mehr sie ihre Fertigkeiten und ihr Wirken erleben, umso wahrscheinlicher, dass sie weiter dranbleiben (C.H. Kieffer zitiert bei Cattaneo/Chapman, 2010, S. 649).
    Durch ein immer wieder Hinterfragen bekommen die zu Fördernden immer mehr Einfluss auf den Prozess und die Begleitenden lernen über die zu Fördernden und die sie bestimmenden Gegebenheiten.
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  2. Der Prozess kann unterstützt oder behindert, nicht aber verabreicht oder erzwungen werden (Brodsky/Cattaneo, 2013, S. 336). Die Begleitenden haben die Aufgabe zu ermöglichen, bei der Zielfindung zu unterstützen und ansonsten den Empowerment-Prozess der zu Fördernden, der schon vor Eintritt der Begleitenden begonnen hat und nach deren Austritt sich weiter entwickeln wird, zu fördern (Cattaneo/Chapman, 2010, S. 656).
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  3. Der Prozess geht von den für die Person bedeutungsvollen, sinnstiftenden Zielen aus. Die Unterstützung der Person oder der Gemeinschaften erfordert daher das Verstehen derer Prioritäten und Werte. Die Wünsche und Ziele der zu Fördernden sind so im Fokus und nicht jene Aspekte, die die Begleitenden für richtig halten. (Cattaneo/Chapman, 2010, S. 649)
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  4. Das Modell identifiziert Empowerment als Brücke zwischen intrapersonellen und sozialem Bereich (Brodsky/Cattaneo, 2013, S. 337). Die Chancen, die Hindernisse und die Ressourcen im Umfeld der zu Fördernden haben maßgeblichen Einfluss auf deren Einschätzung, welche Wirkung von ihnen erzielt werden kann (Cattaneo/Chapman, 2010, S. 652).
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  5. Die Komponenten des Modells (Cattaneo/Chapman, 2010, S. 651ff)
    >> Das Setzen von persönlich bedeutungsvollen, sinnstiftenden Zielen, machtorientiert
    >> Selbstwirksamkeit, das Gefühl die gesetzten Ziele erreichen zu können (darin wird der Motor für den Prozess gesehen)
    >> Wissen, das Verstehen der relevanten sozialen Zusammenhänge, einschließlich der wirkenden Machtdynamiken, möglicher Wege zur Zielerreichung, der erforderlichen Ressourcen und wie man zu diesen kommt
    >> Fähigkeiten, „knowing how to do it“
    >> Action/Setzen von Maßnahmen: diese ergeben sich aus den Prozess-Komponenten zuvor – sie sind von den Zielen geleitet, von den persönlichen Werten hinter den Zielen und durch den Glauben die Ziele zu erreichen motiviert, hinterlegt durch benötigtes Wissen und getragen vom Einsatz benötigter Fertigkeiten.
    >> Erzielte Wirkung: das Ausmaß des erlebten Erfolgs oder Scheiterns und die eigenen Erklärung dafür haben den stärksten Einfluss auf den Glauben in die eigene Selbstwirksamkeit, unabhängig ob man nur selbst oder als Teil einer Gruppe agiert hat.

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Ebenen für Empowerment

Empowerment auf der individuellen Ebene:
Als Gegenkonzept zur „erlernten Hilflosigkeit“ zielt Empowerment auf die „erlernte Hoffnungsfreudigkeit“. Durch individuelles Empowerment beginnen Menschen in Situationen, die von Hilflosigkeit, Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung geprägt sind, ihre Vorhaben, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und sich, auch mit anderen zusammen, selbst zu organisieren (Pankofer 2000, S.14).
Mittels Empowerment-Prozess können zudem Menschen in für sie neuen Situationen unterstützt, sie beim Gewinnen von Sicherheit und Selbstwirksamkeit begleitet werden.

Empowerment auf der Ebene von Gruppen und Organisationen:
„Um in Gruppen oder Organisationen Selbstbewusstsein zu entwickeln und die eigenen Stärken wahrzunehmen und zu nutzen, sind partizipative Entscheidungsstrukturen von Nöten. Motivierende Faktoren von sog. "empowering organisations" sind beispielsweise, durch aktive Mitarbeit der Gruppe neue Fähigkeiten herauszubilden, soziale Beziehungen innerhalb der Organisation zu pflegen oder eine soziale Struktur zu implementieren, die die Weitergabe eigener Kompetenzen an andere stimuliert. Wesentliche strukturelle Merkmals sind eine gemeinsame Entscheidungsfindung, eine offene Leitungskultur und die Durchführung gemeinschaftlicher Projekte und Aktivitäten, um ein optimales Zusammenwirken der Motive des Einzelnen und der Organisation im Sinne eines "person-environment-fit" zu ermöglichen, wozu die Entwicklung von gemeinsamen Zielen und dadurch gemeinsame Motivation beiträgt“ (Pankofer 2000, S.14).

Empowerment auf der strukturellen Ebene:
„Strukturelle Empowerment-Prozesse bedeuten ein erfolgreiches Zusammenspiel von Individuen, organisatorischen Zusammenschlüssen und strukturellen Rahmenbedingungen unter einer fördernden Atmosphäre, die große Auswirkungen aus den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang haben“ (Pankofer 2000, S.14).

Empowerment von Projekten:
Projekte als zielgerichtete, zeitlich begrenzte organisierte Maßnahmen sind auf allen drei zuvor genannten Ebenen bereits Teil deren Empowerment-Prozesse, Diskriminierungen und Behinderungen sind bereits schon dort verortbar.
Auch Projekte haben unter eingeschränkten Macht-Ressourcen zu kämpfen bzw. sind durch Machtgefüge in ihrem Umfeld eingeschränkt. Ein Projekt zur Förderung alter Menschen ist ungleich schwerer zu realisieren, als ein Projekt für kranke Kinder. Oder wie Robert Pfaller im SN-Interview vom 19.1.18 bzgl. der unmöglichen Finanzierung eines Projekts zu „gesellschaftlicher Ungleichheit“ im Gegensatz zu „Dekolonisierung“ ausführt.
Darüber hinaus sind manche Projekte deutlich schwerer zu realisieren, erfordern mehr Wissen und Fähigkeiten. So ist ein Empowerment-Projekt deutlich schwerer zu realisieren, wie eine Vortragsreihe zur Kindergesundheit.

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Checklisten

Zur Einschätzung der Qualität des Empowerment-Vorhabens finden sich hilfreiche Checklisten:

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Literatur

Brodsky Anne E./Cattaneo Lauren Bennett: A Transconceptual Model of Empowerment and Resilience: Divergence, Convergence and Interactions in Kindred Community Concepts
in American Journal of Community Psychologie, 9/2013
https://www.researchgate.net/publication/256931276_A_Transconceptual_Model_of_Empowerment_and_Resilience_Divergence_Convergence_and_Interactions_in_Kindred_Community_Concepts

Cattaneo Lauren Bennett/Chapman Alya R.: The Process of Empowerment: A Model for the Use in Research an Practice. American Psychologist, 65; 2010, S.646-659
https://www.researchgate.net/publication/46576624_The_Process_of_Empowerment_A_Model_for_Use_in_Research_and_Practice

Gesundheitliche Chancengleichheit: Empowerment in der Gesundheitsförderung
https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/gesundheitsfoerderung-im-quartier/aktiv-werden-fuer-gesundheit-arbeitshilfen/teil-1-gesunde-lebenswelten-schaffen/empowerment-in-der-gesundheitsfoerderung/

Glaser Stefan: Plädoyer gegen Empowerment? Wien 2015
http://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/405/668.pdf

Pankofer Sabine: Empowerment – eine Einführung. In: Tilly Miller, Panhofer Sabine, Empowerment Konkret!: Handlungsentwürfe und Reflexionen aus der  psychozozialen Praxis; Stuttgart 2000, S.7-22

Pankofer Sabine: Hype, Hybris oder ertragreiche Dauerbaustelle? Das Empowermentkonzept auf dem wissenschaftlichen Prüfstand. In: Stefan Borrmann et.al.: Die Wissenschaft Soziale Arbeit im Diskurs. Auseinandersetzungen mit den theoriebildenden Grundlagen Sozialer Arbeit. Opladen 2016; Verlag Barbara Budrich (Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit, Band 13), S.291-311

Riger Stephanie: What’s wrong the empowerment. American Journal of Community Psychology, 21, S.279-292
https://www.researchgate.net/publication/226515961_What%27s_wrong_the_empowerment